Seit zwei Jahren betreiben wir eine Fachgruppe auf Facebook zur geschlechtersensiblen Pädagogik. Wir, das ist unser Projekt meinTestgelände, ein Genderonlinemagazin, auf dem Jugendliche sich zu Geschlechter- und Gerechtigkeitsthemen äußern. Angeschlossen ist dem Onlinemagazin eine Fach- und Koordinierungsstelle, in deren Rahmen wir die Fachgruppe gegründet haben. Die Gruppe ist geschlossen, d.h. Jede_r muss sich anmelden und wird persönlich aufgenommen. Gleichzeitig ist sie öffentlich, d.h. alle, die einen FB-account haben, können mitlesen, nicht aber posten. Inzwischen haben wir gut 2.300 Mitglieder – eine Wahnsinnsarbeit, wenn mensch bedenkt, dass wir ALLE anschreiben und um Erklärung bitten, warum sie beitreten wollen und/oder weil wir alle Profile checken auf antifeministische und rassistische Hinweise.
Bedrohungen im Netz
Warum machen wir das? Gerade die Social Media werden von Rassist_innen und Antifeminist_innen genutzt, um ihre Positionen zu verbreiten und eben auch, um alles, was nicht in ihr Weltbild passt, zu diffamieren, zu konterkarieren, zu blockieren und zu bedrohen. Deshalb versuchen sie, in Gruppen hereinzukommen, die feministisch sind, die sich mit Geschlechtergerechtigkeitsfragen beschäftigen oder mit Antirassismus um dort die Debatten zu unterlaufen und die Menschen zu diffamieren. D.h., feministische und antirassistische Diskussionen zu führen in den Social Media birgt immer die Gefahr, angegriffen, abgewertet und bedroht zu werden.
Chancen und Grenzen von Social Media
In der Fachgruppe diskutieren sehr viele Menschen über Geschlechterthemen und angrenzende oder damit verschränkte soziale Zuweisungs- und damit Abwertungsthemen. Vier zentrale Erkenntnisse der Fachgruppenarbeit zeigen sich bis hierhin:
- Social Media haben ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Newslettern, Fachtagungen, Seminaren oder Blogs: sie sind unmittelbar. Bei 2.300 Mitgliedern, von denen viele regelmäßig die Gruppe durchchecken, gibt es nahezu immer die Möglichkeit, Fragen zu stellen und in kürzester Zeit kompetente Antworten zu bekommen. Bei so vielen Menschen ist die Kompetenzstreuung ungemein groß und auch die Unterstützungsbereitschaft der Gruppe. Wer offen sucht oder fragt bekommt umgehend viele gute Ratschläge, Literatur- und Methodenhinweise.
- Über Facebook ist es möglich, verschiedenste Professionen zusammen zu bringen, die in Fachveranstaltungen kaum zusammenkommen: Lehrer_innen, Forscher_innen, Sozialarbeiter_innen und Politiker_innen haben hier eine Plattform zum Austausch gefunden. Die Form der lockeren und mehrheitlich anonymen Möglichkeit des Austausches scheint eine Ebene zu sein, auf der sich Professionen begegnen können – eine wirklich einzigartige Qualität.
- Die akribische Nachfrage bei den (potenziellen) Mitgliedern nach ihrer Motivation und ihrem beruflichen Kontext ist notwendig und Voraussetzung, um Social Media für solche beratungs- und reflexionsorientierte Arbeit zu nutzen: die Fachkräfte brauchen ein Gefühl der Sicherheit, dass sie nicht von Trolls gemobbt werden und die Diskussionskultur konstruktiv ist. Das lässt sich nicht anders gewährleisten als über eine Nachfrage bei den Interessierten und eine kontinuierliche (meint: tägliche) Administration der Gruppe.
- Trotzdem ist das Thema wundgelaufen, einige Menschen auch. Fragt mensch nicht offen in die Gruppe, sondern postet einen Beitrag, so sollte dieser besser umfassend political correct sein. Heißt: die Summe der Kompetenzen der Mitglieder hat auch zur Folge, dass mit dem umfassenden Wissen und der sensiblen Kompetenz Schwachstellen in Videos, Texten oder Musikstücken sofort gefunden und kritisiert werden. Soweit gut und richtig, es geht ja auch um gegenseitige Sensibilisierung, um das Lernen auch an Fehlern. Oft geht die Kritik noch darüber hinaus, indem Beiträge abgelehnt oder grundlegend kritisiert werden, weil die_der Autor_in in einem anderen Beitrag einmal etwas gesagt hat, was nicht richtig oder gut oder gar rassistisch oder frauenfeindlich war. Auch das kann gut und hilfreich sein. Als wund gelaufen empfinde ich an dieser Stelle, dass postende Personen dann oft harsch kritisiert werden, dass andere Meinungen oder Interpretationen von Posts nicht zugelassen werden können und dass es nicht möglich ist, Teilaspekte, die an einem Beitrag vielleicht trotzdem hilfreich sind oder sein können, als solches nicht anerkannt werden. Falsch ist falsch, richtig ist richtig und nicht selten wird das Insistieren gegen eine andere Sichtweise so lange fortgeführt, bis der Einsatz gegen Diskriminierung irgendwann selbst diskriminierend wird, weil persönliche Grenzen überschritten werden, weil Menschen abgewertet werden oder ihnen unterstellt wird, dass sie noch nicht richtig verstanden haben. Manchmal endet das dann mit dem Austritt von Menschen aus der Gruppe.
Diskriminierungsarbeit macht dünne Haut
Aus meiner Sicht steht der kritische Aspekt der Verwundung und Verwundbarkeit im miteinander diskutieren (hier: kommentieren) in einem direkten Zusammenhang mit den Themen der Gruppe: bei Geschlechter-, bei Migrations-, bei Hautfarben- oder bei Handicapthemen geht es immer um Abwertungen, um Diskriminierungen, um Ein- und Ausschlüsse. Und es geht darum, dass diese Themen eine lange Tradition der gesellschaftlichen Nichtwahrnehmung haben, dass sie Verletzungen beinhalten, die bis dahin gehen, dass das Recht, das Grundgesetz, diverse internationale Konventionen etc. ratifiziert sind und trotzdem Menschen und Gruppen abgewertet und ausgeschlossen werden, weil sie einem Geschlecht angehören oder eben nicht, weil sie einer Glaubensgemeinschaft angehören, weil sie eine bestimmte Hautfarbe haben etc. Das zermürbt diejenigen, die sich seit Jahr und Tag für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierungen einsetzen und täglich spüren müssen, dass sie trotzdem passiert und Politik und Gesellschaft sich viel zu wenig dafür interessiert. Und drittens verschmelzen bei vielen Fachkräften eigene Betroffenheiten und fachliche Interessen, so dass die Themen nicht nur fachlich diskutiert werden, sondern gleichzeitig auch persönlich wirken. Auch das macht das Arbeiten in den Social Media fragil.
Gender ist wundgelaufen
Beim Genderthema kommt hinzu, dass seit dem Aufkommen von Pegida, AfD und anderen rechten Organisationen ein öffentlicher Kampf gegen die Anerkennung von Vielfalt von Geschlechtern und von Lebensweisen und sexuellen Orientierungen neuen Zündstoff erhalten hat. Am Geschlechterthema wird von diesen Seiten beispielhaft der Kampf um die Frage durchdekliniert, in welcher Welt wir leben wollen: in einer Welt der Vielfalt in gleichwertiger Anerkennung oder in einer Welt, in der Plätze klar zugeteilt werden aufgrund sozialer Zugehörigkeitsdimensionen. Damit haben Geschlechterfragen einen Stellvertretungsauftrag zugewiesen bekommen für grundlegende Fragen unseres Zusammenlebens. Das erklärt neben Anderem die hohe emotionale Aufladung.
Und das bedeutet was?
Social Media zu nutzen um Geschlechterthemen zu verbreiten und zu diskutieren braucht zwingend die Reflexion der zweiten Handlungsebene und damit eine aufwändige Administration. Wenn wir wissen, dass das Arbeiten mit Genderthemen gerade über viele Jahre für Fachkräfte auch zur persönlichen Belastung werden kann und dünnhäutig machen, dann bedeutet das, dass die Diskussionskultur begleitet und reguliert werden muss in einem Format, dass ob der weitgehenden Anonymität zusätzlich viele aufruft zu Beschimpfungen und Bedrohungen. Genderdiskurse bei Facebook zu führen beinhaltet ein größeres Maß an Zündstoff als face to face, bietet gleichzeitig aber auch Möglichkeiten und Geschwindigkeiten, die in keinem anderen Format von Beratung und Weiterbildung möglich sind.
Die Unmittelbarkeit und die Kommentierungsmöglichkeiten sind Segen im Sinne direkter gemeinsamer Diskussionsmöglichkeiten, gleichzeitig kann genau dies auch zum Fluch werden: schnell ist ein Kommentar gepostet und dann ist er in der Welt und andere beziehen sich darauf. Hinzu kommt, dass das geschriebene Wort ein anderes ist als das gesprochene Wort. Dem geschriebenen Wort fehlt die Intonation und die ist wichtig für die Interpretation der Botschaft, was insbesondere bei sozialen Themen von großer Bedeutung ist.
Facebook als Diskussionsplattform von Geschlechterthemen ist eine gute Ergänzung zu Weiterbildungen, Literatur und Blogs, weil Facebook Dinge kann, die die anderen Medien nicht können. Facebook kann diese aber nicht ersetzen, weil das Forum hoch fragil ist und immer in der Gefahr in Shitstorms abzugleiten. Facebook als Fachforum zu benutzen bedeutet einen erheblichen personellen Aufwand, weil ohne diese Flankierung keine Vertrauensräume hergestellt werden können. Diese wiederum sind Voraussetzung für all die positiven Möglichkeiten, die hier aufgeführt wurden.
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