Über Gender und Vielfalt sprechen reicht nicht

Quelle: pixabay.com

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Vor einiger Zeit an einem beliebigen Ort auf einer Fachtagung habe ich an einem Workshop zum Verhältnis von Gender und Vielfalt teilgenommen. Angeleitet wurde der WS von zwei Personen. Person A: promovierte Weiterbildnerin zu Genderthemen, weiß, in den 60ern. Person B: Netzaktivist zu Genderthemen, schwarz, in den 30ern. Vielfalt also auch in der Besetzung der WS-Leitung. Soweit so gut. Das Vielfaltsthema ist auch in den WS-Leitungen gespiegelt. Ist es das?

Interessant wird die Geschichte an der Stelle, wo das Thema des Workshops und das Handeln der anleitenden Personen diametral auseinander liefen und dadurch zwei Dinge deutlich wurden, die für Genderarbeit oftmals symptomatisch sind: über Vielfalt und Geschlechterverhältnisse in Gleichwertigkeit sprechen und leben sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe, wobei dann die proklamierten Themen nicht mehr glaubhaft sind und die avisierten Ziele verfehlt werden.

Im Einzelnen:
Die Aufteilung, die die Anleitenden vorgenommen haben, weist Person A die Vermittlung des Fachwissens zu und Person B Beispiele, wie solches Fachwissen in satirischer Form übers Netz verbreitet und damit politisiert und mainstreamkompatibel gemacht werden kann.

Person A nimmt von Anfang an das Zepter in die Hand, begrüßt und weist Person B die jeweiligen Auftritte zu. Beide stellen sich vor. Person A beginnt die Inhalte des WS zu referieren. Dazu sitzt sie am Pult mit einem Stapel Papier, das sie von nun ab moderierend vorliest. Inhaltlich wertvoll, anerkennende Begleitung der Teilnehmenden. Schnell wird deutlich, der Bezug von Person A ist nicht, ein Gleichgewicht der Anteile und Inhalte von Person A und Person B respektive den beiden unterschiedlichen Zugängen herzustellen, sondern, dass der Packen Papier fertig vorgetragen wird. In diesem Ansinnen verliert sie Person B, die schräg hinter ihr sitzt und ihre zum Vorgetragenen ergänzenden Folien per Klick auf Zuruf weiterschaltet.

Dann bekommt Person B von Person A die Aufforderung/Freigabe, nunmehr seinen Teil vorzustellen, was er auch tut – ebenfalls unter großer Zustimmung der Teilnehmenden. Angekündigt war, dass es zwei Wechsel geben sollte, Person B also in der Mitte und zum Schluss ihre Beiträge hat. Person A übernimmt also wieder. Der Papierstapel wird kaum dünner, der Druck offensichtlich größer, denn Person A bemerkt mehrmals, dass sie ja noch so viel Stoff vorzutragen hat und Person B ja auch noch … Eine Viertelstunde vor Schluss des WS übergibt sie dann wieder an Person B, die in der Kürze der Zeit ihren Stoff nicht mehr vorgestellt bekommt und nur noch anreißen kann.

Person A beschließt pünktlich den WS mit der Bemerkung, dass Person B ja eigentlich noch ein Video ihrer Arbeit zeigen wollte, dafür sei aber nun keine Zeit mehr. Sie schlägt vor, Person B könne das Video ja laufen lassen und die Teilnehmenden könnten einen Blick drauf werfen beim Rausgehen, wenn sie dies wollten. Nur durch die Intervention einer Teilnehmenden, dass dies sehr unhöflich sei und die zwei Minuten vielleicht doch noch Zeit wären, setzen sich alle Teilnehmenden wieder und sehen das Video an. Dann ist der WS beendet.

Was also ist hier passiert? Offenbar haben die beiden WS-Leiter_innen im Vorfeld zwar die Inhalte und das Vorgehen abgesprochen, nicht aber reflektiert, wie sie auf der Folie von Sozialkonstruktionen und Zuschreibungen agieren wollen, um die Themen und Ziele, die vermittelt werden sollten, auch vorzuleben. Nochmal zur Erinnerung: Es ging um das Thema „Anerkennung von Vielfalt in Gleichwertigkeit“.
Person A hat aber genau das offenbar nicht auf sich und den Mitleitenden bezogen, wodurch das gesprochene Wort nahezu ad absurdum geführt wurde. Person A übernahm von Anfang an die Leitungsrolle als weiße, ältere und promivierte Frau und wies Person B als schwarze (Selbstbezeichnung), viel jüngere Person mit Aktivistenprofil den Platz zu. Damit hat sie in Bezug auf Alter, Hautfarbe und Bildung gesellschaftliche Dominanzen repräsentiert. Lediglich in Bezug auf das Geschlecht repräsentierte Person A mit der dominanten Rolle eine nicht den gesellschaftlichen Zuweisungen entsprechende Position. Die Botschaften im gesprochenen Wort forderten Gleichwertigkeit und das Durchbrechen sozialer Hierarchien, das Handeln repräsentierte diese gleichzeitig und widersprach damit dem gesprochenen Wort.

Das Beispiel hat mir einmal wieder deutlich gemacht, wie wichtig es bei Gender- und Vielfaltsthemen ist, dass wir in der Weiterbildung reflektieren, welche sozialen Kategorien wir qua Person repräsentieren, weil wir sie vertreten und leben und/oder weil sie uns zugeschrieben werden und dass diese Repräsentationen mindestens ebenso wirksam sind wie das gesprochene Wort. Und dass, falls wir das nicht reflektieren, die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass wir gesellschaftliche Hierarchien und Zuweisungen reproduzieren, während wir im gesprochenen Wort uns für die Abschaffung eben jener einsetzen.

Fazit:
Im Couple zu arbeiten bedeutet immer, dass die beteiligten Personen Repräsentant_innen sozialer Zuweisungen sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit zugewiesene gesellschaftliche Hierarchien zwischen den Personen existieren. Im Gendercouple repräsentieren sie unterschiedliche Kategorien wegen der Geschlechterzugehörigkeit, aber selbst in gleichgeschlechtlichen Weiterbildungscouples wird es unterschiedliche Repräsentationen geben, die immer Hierarchien enthalten, weil diese gesellschaftliche Realität sind. Wir sind und wir werden wahrgenommen oder gelesen als Repräsentant_innen und damit auch in Hierarchieverhältnissen. Wenn wir in Weiterbildungen zu Gender und Vielfalt arbeiten, dann ist die Reflexion dieser Hierarchien und Platzanweiser unerlässlich, weil genau das Kern des Themas ist. Es nicht zu tun bedeutet, das eine zu sprechen und das andere zu tun, damit die eigene Arbeit zu konterkarieren und die Teilnehmenden nicht ernst zu nehmen.

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